Viele westliche Unternehmen haben angekündigt, sich aus Russland zurückzuziehen. Ein News-Scout sagt aber, beim Einkaufen im Land sei davon nichts zu spüren. Das sind die Gründe.

1/4 Einkaufszentrum im russischen Kazan Anfang Mai: Laut einem Leser war McDonald’s noch geöffnet. 20min / News-Scouting Dasselbe gilt für KFC, links im Bild. 20min / News-Scouting Fast-Food-Ketten wie Burger King, Pizza Hut und KFC haben ebenfalls geöffnet. 20min / News-Scouting Viele westliche Unternehmen haben sich aus Russland zurückgezogen. Einige sind immer noch aktiv, spenden aber ihre Gewinne aus Russland an Wohltätigkeitsorganisationen. So kündigte Kilchberg Lindt & Sprüngli im März an, seine acht Filialen im Land vorübergehend zu schliessen und alle Lieferungen nach Russland einzustellen. Ein 20-Minuten-Leser hatte jedoch eine andere Erfahrung: Im Mai besuchte er seine Freundin in Kasan, der sechstgrößten Stadt Russlands – und fand im Supermarkt Lindt-Schokolade. Das Unternehmen hat nach eigenen Angaben einen Supermarkt in Kasan beliefert, aber die Lieferungen wurden eingestellt. Händler hätten die Produkte wahrscheinlich nur auf Lager. Vor Ort werden jedenfalls keine Produkte produziert, heißt es bei der Bestellung. Lindt & Sprüngli steht auf der bekannten Yale-Liste von Unternehmen, die die meisten oder fast alle ihrer Aktivitäten in Russland vorübergehend eingeschränkt haben. Schweizer Unternehmen wie Ems-Chemie, Liebherr und Sika hingegen sind weiterhin in Russland aktiv (siehe Kasten). „Ich bin davon ausgegangen, dass westliche Produkte aus den Regalen verschwunden sind“, sagt der Leser bei 20 Minuten. Das ist der Eindruck, den man bekommt, wenn man die westlichen Medien liest. In Kasan waren jedoch Produkte wie Coca-Cola, Gouda-Käse oder Mozzarella leicht erhältlich.

„KFC, Burger King, McDonald’s – alles war offen“

Westliche Snacks, Parfums und Kosmetika werden ebenfalls verkauft, und Grundprodukte wie Zucker und Öl sind weit verbreitet. „KFC, Burger King, Pizza Hut, McDonald’s – alles war offen“, sagt der Nachrichtenscout. Auch eine Shell-Tankstelle war geöffnet. Er habe auch einen Prosecco aus Italien gekauft, sagt der Leser. „Einkaufen in Russland war fast wie in der Schweiz“, sagt der Leser. Nur Starbucks hatte geschlossen. Das sei nicht zielführend: “Wenn Sanktionen verhängt werden, soll das auch die Bevölkerung spüren.” Es ist nicht deine Schuld für den Krieg. Aber solange den einfachen Leuten nichts fehlt, werden sie keinen Aufstand gegen Putin starten. “Wenn nur die Oligarchen es spüren, werden die Sanktionen nichts bewirken.”

In russischen Supermärkten gibt es fast keine Lücken

Russland-Spezialist Ulrich Schmid von der Universität St. Gallen (HSG) sagte auf Nachfrage, er habe Ähnliches gehört: Die Regale in den Supermärkten in Russland seien noch voll – auch mit westlichen Produkten. Das liegt vor allem daran, dass viele Anbieter sie noch auf Lager haben. Verständlich, sagt Stefan Dingerkus, der an der Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften im Forschungsbereich Nachhaltiges Supply Chain Management und Mobilität arbeitet. Einige westliche Unternehmen stellen auch direkt im Land Produkte für den lokalen Markt her, solange sie nicht unter das Handelsembargo fallen, sagt Dingerkus. Es ist auch möglich, dass Zwischenhändler ohne Wissen der Hersteller an Direktimporten aus anderen Ländern beteiligt sind.

Lächerliche Preise für russische Investoren

Als sich westliche Unternehmen aus Russland zurückzuziehen begannen, reagierte Putin schnell und drohte mit Enteignung und Verstaatlichung. Das habe die Unternehmen zum schnellen Handeln gezwungen, sagt Schmid. Jetzt konnten russische Investoren Gebäude und Infrastruktur zu lächerlichen Preisen kaufen. Die Regalpreise hingegen sind seit Kriegsausbruch um 15 bis 20 Prozent gestiegen. Laut Schmid dürfte die Inflation im Land bis Ende des Jahres die 20-Prozent-Schwelle überschreiten. Für Russland ist es nicht einfach, westliche Investitionen zu ersetzen. Und wenn es neue Besitzer gibt, werden Geschäfte oft in ähnlicher Weise weitergeführt. Der ehemalige Kult-McDonald’s-Laden am Puschkin-Platz in Moskau hat jetzt wieder geöffnet und bietet fast das gleiche Sortiment wie zuvor – mit genau einem anderen Namen.